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Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung im Freistaat Thüringen

1.   Die Arbeitsgemeinschaft Selbstverwaltung ist ein offener Gesprächskreis von Bürgermeistern und Verwaltungsfachleuten der kommunalen Ebene. Die Arbeitsgemeinschaft ist entstanden aus einer Vielzahl von Einzelgesprächen im Zusammenhang mit der geplanten kommunalen Gebietsreform in Thüringen. Im Rahmen dieser Gespräche stellte sich ein verbreitetes Unbehagen der kommunalen Verwaltungspraxis mit der Richtung heraus, die die Diskussion um eine kommunale Gebietsreform in den letzten Jahren genommen hat.

Nach Auffassung der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wird viel zuviel über Mindesteinwohnerzahlen und über durchaus ungesicherte Vermutungen hinsichtlich zu erzielender globaler Kostenersparnisse durch Vergrößerung von Verwaltungseinheiten gesprochen. Viel zu wenig ist dagegen davon die Rede, daß stark wachsende Verwaltungseinheiten in größter Gefahr stehen, die Entscheidungsprozesse in den Räten und mithin in der Selbstverwaltung vom Bürger wegzurücken. Das ist gerade für die kommunale Ebene, die im engsten Zusammenhang mit dem täglichen Leben der Bürger steht, eine besorgniserregende Entwicklung.

Die Arbeitsgemeinschaft Selbstverwaltung verfolgt deshalb das Ziel die möglichst breite Beteiligung der Bürger als Bürgermeister sowie in Räten und Ausschüssen als Kernstück der Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Die Kernaufgabe der Kommunen in einer föderal aufgebauten Gesellschaft besteht notwendig darin, den Bürgern die Möglichkeit zu geben, ihre gemeinsamen kommunalen Anliegen auch selbstbestimmt und gemeinschaft-lich vor Ort in die eigenen Hände zu nehmen.

Dieser Funktion hat die Organisationsform zu folgen!

2.   Maßstab für jede Verwaltungsreform ist die Frage, ob die bürgerliche Selbstverwaltung durch die Reform verbessert wird oder nicht. Es macht für die kommunale Ebene zum Beispiel einen entscheidenden Unterschied, ob für ein Mandat im Gemeinderat fünfzig oder 250 Wählerstimmen erforderlich sind. Denn fünfzig erforderliche Stimmen kann jeder Bürger durch Gespräche mit Nachbarn und Bekannten, die sein Anliegen teilen, selbst mobilisieren, wenn ihm kommunale Anliegen wichtig genug sind, an der Selbstverwaltung teilhaben zu wollen. Dem billigen Argument, daß „die Politiker“ nicht zuhören, kann für die kommunale Ebene deshalb mit Recht entgegengehalten werden, daß wirklich jeder leicht selbst zum Kommunalpolitiker werden kann, wenn er meint ein für die Gemeinschaft wichtiges Anliegen zu vertreten. Dagegen liegt die Mobilisierung von  250 Wählerstimmen für einen einzelnen Bürger, der beschließt sich ernsthaft einzubringen, eher jenseits seiner persönlichen Möglichkeiten. Dazu bedarf es eines Apparates und des längeren Weges durch die Institutionen. Es tritt genau die Tendenz zur Professionalisierung der Politik ein, die auf Landes-, Bundes- und Europaebene so nachhaltig kritisiert wird. Eine Notwendigkeit für eine solche Entwicklung auf kommunaler Ebene ist nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft Selbstverwaltung nicht zu erkennen.

Die professionalisierte Verwaltung auf kommunaler Ebene ist nicht die Selbstverwaltung, sondern unterstützt die Bürger bei der Selbstverwaltung. Deshalb hat sich die Struktur der professionalisierten Verwaltung nach den Bedürfnissen der mit der Selbstverwaltung befaßten und für sie mandatierten Bürger zu richten. Die Reformfrage lautet also, wie eine professionalisierte Verwaltung gestaltet sein sollte, die geeignet ist kommunalen Selbstverwaltungsgremien bei deren Aufgabenerfüllung vernünftig zuzuarbeiten. Erst eine theoretische Verwaltung zu konstruieren und dann nach der richtigen Gemeindegröße für diese Verwaltung zu suchen, zäumt offenbar das Pferd von hinten auf.

Daraus folgt weiterhin, daß es keine für alle Fälle richtige Antwort auf die Frage gibt, wie die professionalisierte Verwaltung auszusehen hat. Entscheidend ist vielmehr, wie die Selbstverwaltung unter unterschiedlichen Bedingungen jeweils am besten abgesichert werden kann. Die professionalisierte Kommunalverwaltung im ländlichen Raum mit relativ niedriger Einwohnerdichte wird und muß ein anderes Gesicht haben, als die profes-sionalisierte Verwaltung einer Großstadt mit sehr hoher Einwohnerdichte. So bedeutet eine Aufgabenzentralisierung in der Großstadt eben nur eine Konzentration der Aufgabe innerhalb der großstädtischen professionalisierten Verwaltung, ohne daß sich an der Reichweite der städtischen Selbstverwaltungsgremien durch die Konzentration etwas ändern würde. Dagegen steht eine unbedachte Aufgabenzentralisierung im ländlichen Raum im vollen Risiko neben der Zentralisierung im Aufbau der professionalisierten Verwaltung auch zu einer räumlichen Zentralisierung zu führen und dadurch den Bür-gergemeinschaften vor Ort massiv und unnötig Entscheidungskompetenzen zu entziehen. Echte Entscheidungsrechte, abgesichert durch Rechte über einen eigenen kommunalen Haushalt zu disponieren, stehen im Risiko ersetzt zu werden durch das Recht von Ortsteilräten, die zwar angehört werden, aber nicht entscheiden, die Haushaltsmittel zwar fordern können, aber keinen eigenen Haushalt auf Einnahmen- und auf Ausgabenseite verantworten.

Es ergibt sich schließlich, daß der seinem Wesen nach dezentrale ländliche Raum sich am besten auch dezentral selbst verwaltet. Das stellt sicher, daß die Bedürfnisse der Bürgergemeinschaften vor Ort hinreichend berücksichtigt werden. Undifferenzierte Lösungsansätze aus einer fernab liegenden „Zentrale“ werden vermieden. Die Aufgabe der professionalisierten Verwaltung besteht darin, einerseits den Bürgerselbstverwaltungen der Kommunen Freiraum zu verschaffen, wo das erforderlich oder problemlos ist. Erforderlichkeit kann gegeben sein, wo die Größe der Aufgabe verhindert, daß eine einzelne Gemeinde sie allein erfüllen kann. Zu denken ist z.B. an den Bau und Unterhalt eines gemeinsamen Schwimmbades oder eines gemeinsamen gehoben ausgestatteten Sportplatzes. Aber auch die Kommune selbst kann ausschlaggebend für das Maß  der Aufgabenerfüllung durch die professionalisierte Verwaltung sein. So mögen hoch aktive Bürgermeister und Gemeinderäte auf wesentlich weniger Unterstützung angewiesen sein, als weniger aktiver gewählte Vertreter. Zudem mag sich diese Aktivität der Mandatierten auch über längere Zeitabläufe betrachtet ändern. Hauptkennzeichen einer geeigneten dezentralen professionalisierten Verwaltung ist also eine gesteigerte Flexibi-lität in der Aufgabenerfüllung. Der Grundsatz lautet hier, daß die dezentrale professio-nalisierte Verwaltung fähig ist eine Vielzahl von Aufgaben zu erledigen, daß sie aber von ihrem Selbstverständnis und von ihrer Anbindung an die sich selbst verwaltenden Kommunen her bei weitem nicht alle Aufgaben erledigten muß, die sie prinzipiell erledigten könnte.

Dieser Ansatz ist nicht neu. Vielmehr findet er sich im Kern in den Kommunal- und Gemeindeordnungen der meisten Bundesländer. Das gilt auch für den Freistaat Thüringen, der mit der Verwaltungsgemeinschaft und der erfüllenden Gemeinde Organisationsformen für die dezentrale professionalisierte Kommunalverwaltung bereitstellt. Sinnvoll ist es aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft Selbstverwaltung, weiter mit und an diesen Organisationsformen zu arbeiten. Sie gewährleisten ein hohes Maß an bürgerlicher Selbstbestimmung vor Ort und bieten auf der anderen Seite qualifizierte Verwaltungsleistungen auf hohem Niveau, angepaßt an die örtlichen Bedürfnisse. Im übrigen haben sich nach Auffassung des Arbeitskreises auch die Großstädte die Frage zu stellen, ob auf die Stadtteile dezentralisierte Verwaltungsorganisationen mit erweiterten Selbstverwaltungs- und gegebenenfalls eigenen Haushaltsrechten der Stadtteile nicht geeignet wären, einiges an Bürgerverdrossenheit aus der Welt zu schaffen, was sich heute un-strukturiert in Wutbürgerdemonstrationen Ausdruck verschafft. Gebietsreformen auf Grundlage letztlich gegriffener Einwohnerzahlen gehen dagegen am Kern des Problems vorbei. Hier wird nicht eine flexible dezentrale Lösung für sehr viele Fälle des ländlichen Raumes geschaffen. Vielmehr sorgt man letztlich durch Zwangsfusionen für einen einheitlichen Fall, für den man glaubt nur noch eine zentrale Einheitslösung zu brauchen. Das wird – wie immer bei aufgezwungenen Lösungen – zu schlechten Ergebnissen führen.

Freiwillige Zusammenschlüsse werfen keinerlei Probleme auf, soweit sie von den Bürgern akzeptiert werden. Im Zweifel sollten vor Zusammenschlüssen die Bürger der beteiligten Gemeinden befragt werden. Im übrigen ergibt sich aus dem Umfang der Aufgabenübertragung die Antwort auf die Frage, ab welchem Punkt zwingend einheitliche Gemeinden entstehen sollten. Wird ein Übermaß an Aufgaben auf gemeinsame zentrale Verwaltungseinheiten verlagert, so sind nach der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte neue gemeindliche Körperschaften zu schaffen, die die gewährleisten, daß die kommunale Selbstverwaltung auch in diesen Fällen den Vorgaben des Gesetzgebers genügen. Stellt sich also in der täglichen Verwaltung wirklich heraus, daß eine Vielzahl wesentlicher Aufgaben gar nicht mehr von den Einzelgemeinden zu erfüllen ist, so ist die Neugründung einer einheitlichen Gemeinde richtig und unausweichlich.

3.   Die bislang von den Parteien der derzeitigen Landesregierung erkennbar favorisierten Mindestgrößen für Gemeinden, würden zu einer Verödung des politischen Lebens und der politischen Teilhabe, insbesondere im ländlichen Raum, führen. Die Selbstverwaltung an der Basis wird zurückgedrängt, sie wird aus der örtlichen Gemeinschaft entfernt und auf Einheiten übertragen, die nicht Ergebnis gewachsener Strukturen sind. Stichhaltige Argumente finanzieller, wirtschaftlicher oder rechtlicher Art, die für Zusam-menschlüsse mit einer großen Einwohnerzahl sprechen, wurden bisher durch die Befürworter von Zusammenschlüssen mit hohen Einwohnerzahlen nicht gegeben. Soweit in Politik und zum Teil auch in der Literatur Stimmen laut geworden sind, die ein „Auslaufen“ des „Modells Verwaltungsgemeinschaft“ konstatieren, lassen diese sämtlich eine Begründung für diese Behauptung vermissen. Diese Äußerungen dürften daher eher Ergebnis einer politischen Zielvorstellung, als die Wiedergabe tatsächlicher Erfahrungen sein.

4.   Die Verwaltungsgemeinschaft bzw. die gemeinschaftliche Verwaltung ist die zukunftsorientierte kommunale Organisationsform.

Der weitaus größte Teil der Thüringer Kommunen ist heute Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft. Die Beibehaltung dieser Institution erhält die kommunale Selbstverwal-tung auch in kleineren Kommunen. Die Entscheidungen werden – erkennbar für den Bürger – an der Basis gefällt. Dies wiederum fördert die Bürgernähe zum gemeindlichen Entscheidungsgremium, da politische Entscheidungen für eine überschaubare Einwoh-nerzahl gefällt werden. Der Gemeinderat wird in die Lage versetzt, Probleme und Anliegen der Gemeinschaft in angemessener Form und in einem angemessenen Zeitraum zu behandeln. Entscheidungen werden in der örtlichen Gemeinschaft für die örtliche Gemeinschaft gefällt. Die Arbeit des Gemeinderates wird für den Bürger transparent und vermittelbar. Der Politikverdrossenheit wird entgegengewirkt. Der Bezug zur örtlichen Gemeinschaft bleibt erhalten oder kann unschwer hergestellt werden. Das Gefühl der Verantwortlichkeit des einzelnen Bürgers für Belange der Gemeinschaft wird gefördert.

Das rechtliche Verhältnis der Verwaltungsgemeinschaft zu ihren Mitgliedskommunen bzw. die rechtlichen Verhältnisse zwischen den Mitgliedskommunen sollten zukünftig durch vertragliche Vereinbarungen konkretisiert werden, soweit dies nicht bereits in der Vergangenheit geschehen ist. Der Abschluß einer schriftlichen Vereinbarung, die die grundlegenden Prinzipien der Zusammenarbeit aufführt ermöglicht die Sanktionen von Fehlverhalten und fördert die Effizienz.

Die Verwaltungsgemeinschaft ist in ihrer jetzigen rechtlichen Ausprägung in der Lage, die ihr obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Wirtschaftlichkeit und Effizienz nicht mehr zu verbessern wären. Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt der demografischen Entwicklung im ländlichen Bereich. Den Gemeinden obliegen die Aufgaben des eigenen und übertragenen Wirkungskreises, unabhängig von ihrer Einwohnerzahl.

Es kann nicht vernachlässigt werden, daß der Gesetzgeber den Kommunen mit den Aufgaben finanzielle Belastungen aufgebürdet hat, die in kleineren Einheiten in wirtschaftlicher Art und Weise schlechter bewältigen werden können. Dies muß jedoch nicht zur Folge haben, daß diese Kommunen aufgelöst, in eine andere Kommune eingegliedert oder mit anderen Kommunen zusammengeschlossen werden.

Vielmehr ist die Erfüllung der bestehenden und noch anstehenden Aufgaben durch eine teilweise Übertragung der Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auf die Verwaltungsgemeinschaft zu bewältigen.

Die durch Artikel 28 II Grundgesetz bzw. 91 der Thüringer Verfassung vermittelten kommunalen Hoheitsrechte bleiben in ihrem Kernbereich hierdurch unangetastet. Die Übertragung von insbesondere kostenintensiven Aufgaben auf die Verwaltungsgemeinschaft führt jedoch zur Steigerung ihrer Wirtschaftlichkeit und der Effizienz der Aufga-benerfüllung. Synergieeffekte können genutzt, Personal kann mittelfristig eingespart werden. Die Finanzierung kann durch Erhebung von Umlagen abgesichert werden. Zwar stellen auch Umlagen finanzielle Belastungen für den einzelnen Gemeindehaushalt dar. Für die Mitgliedskommunen entfällt jedoch im Gegenzug die Verpflichtung kostenintensive Einrichtungen vorhalten zu müssen. Für welche Aufgaben dieser Weg in Betracht kommt, ist im Einzelfall zu prüfen.

Die bereits heute gesetzlich verankerten Möglichkeiten der kommunalen Zusammenarbeit sollten nicht nur zwischen Mitgliedskommunen von Verwaltungsgemeinschaften, sondern generell verstärkt genutzt werden. Die bisher gewonnenen Erfahrungen mit der kommunalen Zusammenarbeit bestätigen die Effizienz der Aufgabenerfüllung, die Einsparung von Personal und Ressourcen. Diese positive Entwicklung ist ohne Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung erreichbar.

>> Link zu den Unterstützern der im Thesenpapier „Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung im Freistaat Thüringen“ skizzierten Ziele der AG Selbstverwaltung