Kahla, den 23.09.2015
Kommunale Selbstverwaltung ist bürgerliche Selbstbestimmung
Einiges Befremden hat das gestern vorgestellte Leitbild der Landesregierung über die geplante Neuordnung der kommunalen Selbstverwaltung bei Verwaltungspraktikern ausgelöst. Die Befürchtungen haben sich bestätigt. Offenbar verfügt die Landesregierung über keine Zahlen, die belegen, daß eine kommunale Gebietsreform eine bessere Verwaltung zur Folge hat. Die Verdrängung der gewählten Bürger aus den Kommunalverwaltungen wird im Leitbild gar nicht erst angesprochen. Die Landesregierung schickt sich anscheinend ausschließlich ideologisch motiviert an, die bürgerliche Selbstverwaltung vor Ort zurückzudrängen.
Längst haben die kommunalen Mandatsträger und Verwaltungsfachleute eigene Diskussionszusammenhänge geschaffen. Unabhängig von der Ministerialverwaltung und Parteiorganisationen befassen sie sich mit dem Nutzen einer Gemeindegebietsreform. Die Arbeitsgemeinschaft Selbstverwaltung ist ein solcher Gesprächskreis.
Die Ergebnisse ihrer Recherchen und Diskussionen sind eindeutig. Durch die geplante Gemeindegebietsreform werden die Bürger weiter aus ihrer eigenen kommunalen Selbstverwaltung hinausgedrängt. Eine nennenswerte Kostenersparnis gegenüber der aktuellen Situation sowie gegenüber selbstverwaltungsgerechten Alternativen ist mit der Gebietsreform nicht verbunden. Aus den vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ergibt sich kein Hinweis, daß bisherige Gemeindegebietsreformen in anderen Bundesländern Verbesserungen der Verwaltung erreichten.
Die Kernbotschaft der Arbeitsgemeinschaft Selbstverwaltung läßt sich in wenigen Punkten zusammenfassen:
1. Ein zentraler Baustein der bürgerlichen Demokratie ist die kommunale Selbstverwaltung durch die Bürger. Tägliche bürgerliche Demokratie ist indirekte Demokratie. Es macht deshalb einen Unterschied, ob ein Gemeinderatsmandat fünfzig Wählerstimmen oder 250 Wählerstimmer erfordert. Im ersten Fall hat jeder interessierte Bürger die Chance, sich der Wahl ohne überbordende Vorbereitung mit Erfolgsaussichten zu stellen. Im zweiten Fall bedarf es dagegen bereits einer Organisation, die für ihn Wählerstimmen einwirbt, einschließlich aller Abhängigkeiten, die das mit sich bringt. Der erste Fall ist unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Selbstbestimmung dem zweiten Fall vorzuziehen. Abweichungen bedürfen sehr ernsthafter Begründung.
2. Bürgerliche Selbstverwaltung umfaßt notwendig das kommunale Haushaltsrecht einer Bürgergemeinschaft sowohl auf der Einnahmen- wie der Ausgabenseite.
3. Die Bürger bedienen sich bei ihrer Selbstverwaltung professionalisierter Verwaltungen auf kommunaler Ebene. Diese professionalisierten Verwaltungen sind also nicht die Selbstverwaltung, sondern sie unterstützen die bürgerliche Selbstverwaltung. Sie sind inhaltlich nicht Organ des Zentralstaates, sondern Instrument der Bürgergemeinschaft vor Ort.
4. Die Struktur der professionalisierten kommunalen Verwaltung hat sich deshalb nach den Bedürfnissen der Bürgergemeinschaften sowie der mit der Selbstverwaltung befaßten und für sie durch Wahl mandatierten Bürger zu richten.
5. Der seinem Wesen nach dezentrale ländliche Raum verwaltet sich deshalb am besten dezentral selbst. Das ist derzeit reibungslos der Fall. Eingriffe in diese funktionierende bürgerliche Selbstverwaltung vor Ort bedürfen sehr starker Begründung. Gegriffene Mindesteinwohnerzahlen und unbelegte Behauptungen über undefinierbare Zentralisierungsvorteile reichen keinesfalls aus.
6. Die erforderliche höhere Flexibilität der professionalisierten Verwaltung in der Fläche wird im Freistaat durch die Einrichtungen der Verwaltungsgemeinschaft und der erfüllenden Gemeinde gewährleistet. Beide verbinden ein hohes Maß an bürgerlicher Selbstbestimmung in den Mitgliedsgemeinden vor Ort mit effizienter Verwaltung. Die Verwaltungsgemeinschaft und die erfüllende Gemeinde sind deshalb die zukunftsorientierten Institutionen der professionalisierten kommunalen Verwaltung im ländlichen Bereich. Sie sind gegebenenfalls unter Wahrung der Entscheidungsrechte der Mitgliedsgemeinden weiterzuentwickeln.
Die Arbeitsgemeinschaft Selbstverwaltung besteht aus Praktikern der Kommunalpolitik und der kommunalen Selbstverwaltung quer durch den Freistaat. Ihr Ziel ist die Information der Öffentlichkeit über die Bedeutung der Selbstverwaltung der Bürgergemeinschaften vor Ort für die bürgerliche Demokratie. Ferner will die Arbeitsgemeinschaft für bessere Information darüber sorgen, daß die bestehenden Organisationsformen der kommunalen Ebene in Form der Verwaltungsgemeinschaften und der erfüllenden Gemeinden alle nennenswerten Möglichkeiten der Kostenersparnis ausschöpfen können, ohne die bürgerliche Selbstverwaltung der ländlichen Gemeinden zurückzudrängen.